Annette Lang
Annette Lang schloss 1985 ihr Industriedesignstudium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart mit einem Diplom ab. Während ihres Studiums absolvierte sie 1983 ein Praktikum bei FTI Design L.L. Lepois in Paris und 1984 bei Henry Dreyfuss Associates in New York. Von 1985 bis 1988 arbeitete sie für Studio Matteo Thun, Studio Antonio Cittero und Studio Sottsass Associati in Mailand, bevor sie ihr eigenes Designstudio in Wiesbaden gründete. Annette Lang war von 1989 bis 1993 zunächst Assistentin von Prof. Richard Sapper an der Kunstakademie Stuttgart und dort anschließend Gastdozentin. Für ihre Arbeiten erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter Design Plus, iF Design Award, Red Dot, Designpreis FORM oder European Ethical Award. Als Jurorin nahm sie am iF Design Award und dem Red Dot Award teil; zudem ist sie mit ihren Produkten regelmäßig in internationalen Ausstellungen vertreten.
Red Dot im Interview mit Annette Lang
Red Dot im Interview mit Annette Lang
Red Dot: Sie gestalten Produkte für die unterschiedlichsten Branchen. Gibt es so etwas wie ein Herzensthema?
Annette Lang: Das Gestalten von alltäglichen Gebrauchsgegenständen, die wir täglich in der Hand haben und die unseren Alltag schöner, praktischer und vor allem nachhaltiger machen, das ist für mich eine Herzensangelegenheit. Dabei werden Faktoren wie Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit für uns immer wichtiger. Die Frage, die sich Produktdesignern dabei stellt, lautet also: Wie kann ich alltägliche Produkte nicht nur formschön und zeitlos, sondern auch langlebig und nachhaltig gestalten?
Ist es möglich, auch bei Auftragsarbeiten seine eigene Persönlichkeit in ein Produkt zu legen?
Im Allgemeinen orientiert sich die Auftragsarbeit am Lasten- und Pflichtenheft und an den Rahmenbedingungen des Unternehmens und Marktes. Der Auftraggeber bezeugt aber bereits bei der Auswahl des Designers, dass er dessen individuelle Handschrift und Gestaltungsüberzeugung besonders schätzt. So ist die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit in den Prozess der Produktentwicklung einfließen zu lassen, schon gegeben.
Können Sie sich an das erste Produkt erinnern, das Sie gestaltet haben? Und würde es heute wieder genauso aussehen?
Mein erstes entworfenes Produkt war die Besteckserie ZERO aus Cromargan für den italienischen Hersteller ICM Casalinghi Mori. Die Serie ist, wie der Name andeutet, puristisch und minimalistisch gestaltet und wirkt durch ihre klaren Linien. Die schlichte Eleganz ist dabei nach wie vor zeitlos und modern. Das Besteck ist 1988 entstanden und wir haben es bei uns immer noch im Gebrauch.
Welche Produkte sind Ihre persönliche Leidenschaft, auch wenn Sie so eines vielleicht noch nie selbst gestaltet haben?
Staubsaugen ist eine alltägliche Tätigkeit, die sogar entspannen kann und deren Resultat sofort sichtbar ist. Den idealen Staubsauger, der leicht, leise und handlich ist, wenige, aber überzeugende Funktionen hat, gut zu reinigen und leicht zu verstauen ist, habe ich bis heute noch nicht gefunden. Obwohl ich während der Red Dot-Jurysitzungen schon zahlreiche Staubsauger testen konnte, war das ideale Modell noch nicht dabei. Dieses würde ich gerne gestalten.
Gibt es einen Designklassiker, den Sie zu gerne selbst gestaltet hätten?
Die Tolomeo Arbeitsleuchte von Michele De Lucchi ist mein bevorzugter Designklassiker. In den 1990er Jahren habe ich in Mailand gearbeitet und bei einem Besuch im Studio De Lucchi die Anfänge dieser Leuchte miterlebt. Damals waren alle Büros mit der Luxo L1 Schreibtischleuchte mit dem Scherenarm-System ausgestattet, die 1937 vom norwegischen Designer Jac Jacobsen entworfen wurde. Wer hätte damals gedacht, dass diese Leuchte bald von der Tolomeo abgelöst werden würde.
Welche Branchen oder Produktgruppen sind hinsichtlich ihrer Gestaltung am anspruchsvollsten?
Besonders anspruchsvoll hinsichtlich der Gestaltung sind Produkte, die in einem speziellen Kontext einwandfrei funktionieren müssen, wie zum Beispiel eine OP-Leuchte. Gestaltungsfaktoren wie Ästhetik, Funktionalität, Ergonomie, Oberfläche, Sicherheit, Hygienestandard, Technik, Ökologie und Ökonomie müssen hier genau abgewogen werden. Gutes Design leistet dabei einen entscheidenden Beitrag, um Wertigkeit, Funktionalität und technische Differenzierung nach außen sichtbar zu machen. Großen Herausforderungen in der Gestaltung begegnen wir auch bei jedem technischen Innovationssprung.
Wie der Digitalisierung?
Ja, die Digitalisierung hat unseren Alltag, unsere Gesellschaft und die Gestaltung von Produkten stark verändert. Dabei ist die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine besonders anspruchsvoll, weil Produkte mittlerweile umfangreiche Zusatzfunktionen erfüllen.
Früher hatte eine Lampe einen einfachen Ein-/Ausschalter. Heute ist eine Lampe mit einer Vielzahl von Funktionen ausgestattet. Sie ist dimmbar, hat eine Zeitschaltuhr, einen Dämmerungsschalter, kann die Lichtfarbe verändern, ist mit einem Bewegungsmelder verknüpft und man kann sie über das Internet ansteuern. Alle diese Funktionen müssen über gutes Design einfach handhabbar und selbsterklärend gestaltet werden.
Zeitlos oder Zeitgeist?
In unserer modernen Gesellschaft spielen Umweltverträglichkeit, Nachhaltigkeit und das Schonen der Ressourcen eine immer größere Rolle. Schlichtes, auf das Wesentliche reduzierte Design, sprich langlebige Produkte schonen unsere Ressourcen, verursachen weniger Müll und belasten weniger unseren Planeten. Der Wunsch nach Nachhaltigkeit ist für viele Menschen auch beim Kauf eines Produktes mitentscheidend, und sie sind bereit, für ein langlebiges, umweltfreundliches Produkt mehr zu investieren. Das ist ein Plädoyer für zeitloses Design, denn es ist umweltfreundlich und langlebig.
Aber wann ist ein Produkt zeitlos? Ein Produkt entspringt immer dem Zeitgeist. Sobald das Produkt den Zeitgeist überlebt und beim nächsten Paradigmenwechsel immer noch aktuell ist, ist es zeitlos geworden.